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von Dagmar Kübler
Ein dünner, weiß gekleideter junger Mann steht auf einer hohen Leiter – mit einem Strick um den Hals. Auf eine weiße Wand hinter ihm steht mit Blut geschrieben „Er ist schwul“. Eine junge Frau, das Gesicht hälftig schwarz und weiß geschminkt, sitzt auf einem Stuhl – mit Ketten am ganzen Körper gefesselt. In Eisblöcken vor ihr sind Schlüssel eingefroren, mit denen sich die Schlösser öffnen lassen. Eine Frau in bodenlangem weißem Gewand (Kleid der Erinnerung) steht auf einem Stuhl. Auf ihrem Kleid notieren Besucher ihre Gedanken zum Holocaust.
Gekleidet in einem hautfarbenen, enganliegenden Body und Strümpfen und damit nackt und schutzlos wirkend, sitzt eine Frau mit „zugenähtem Mund“ und einer Maske in der Hand zwischen Schaufensterpuppen, auf denen Zettel mit sexistischen Sprüchen kleben. Mit Umarmung kann der Frau Trost gespendet werden. Ein Paar tanzt zu Tangomusik. Immer wieder tauschen sie ihre Kleidung miteinander und so tanzt er mal als Frau, mal als Mann – sie mal als Mann, mal als Frau. Geldscheine wechseln den Besitzer.
Ort des Geschehens ist die Säulenhalle in Landsberg, ein Gewölbe, weiß gekalkt, mit Ziegelquaderfußboden, alt, nüchtern, zurückhaltend. Zwischen den Performances stehen die einzelnen Stationen des Lernlabors „Mensch, du hast Recht(e)!“ der Bildungsstätte Anne Frank. Und mehr noch: An den Wänden zeigen Gemälde, womit sich die Besucher des Workshops Arts&Diversity letztes Jahr im Herbst im Rahmen der interkulturellen Tage beschäftigt haben.
Auch die Maler Ali Mahmoud und Arman Asatryan haben eine Auswahl ihrer Bilder mitgebracht, um sie einem breiten Publikum zu zeigen. Ali stammt aus Syrien. Seine Bilder sind während des Krieges, vor seiner Flucht, dort entstanden. Arman ist Armenier. Er setzt sich zeichnerisch stark mit Identitätsfindung, Befreiung und Heimweh auseinander. Beide leben in Gersthofen bei Augsburg und sind dem Verein Projekt Randerscheinungen eng verbunden.
Es ist der Tag der Ausstellungseröffnung, der 1. März. Bereits vor zwei Jahren haben Maximilian Huber und Julian Pietsch von Projekt Randerscheinungen mit der Planung der Ausstellung und des Rahmenprogramms begonnen. Nun ist es soweit, Eröffnung! Wer wird kommen? Wie werden die Besucher reagieren? Werden die Botschaften ankommen? Wie immer, wenn etwas Neues das Licht der Welt erblicken darf, liegt Anspannung in der Luft. Allmählich strömen Besucher herein, altbekannte und neue Gesichter. Es gibt so viel zu sehen, vieles macht neugierig, anderes verschreckt, macht nachdenklich. Die Besucher schlendern entlang der Stationen, lesen erste Infotafeln, lassen sich von den Performances in den Bann ziehen. Nach einem ersten Überblick kehrt Ruhe ein. Jeder weiß nun, wenn er verstehen will, was sich hier in der Säulenhalle abspielt, muss man sich Zeit lassen. Zeit lassen, um wirklich einzutauchen, das Gespräch zu suchen, nachzudenken. Vielleicht innerhalb der zehn Tage – die Ausstellung ist noch bis 10. März zu sehen – wiederkommen und sich erneut darauf einlassen.
„Menschenrechte haben Projekt Randerscheinungen immer betroffen. Viele unserer Mitglieder sind von Verletzungen der Menschenrechte direkt betroffen. Wir spielen sonst Theater – nun haben wir uns zu einer Ausstellung entschlossen, um mit unseren Botschaften auch andere Zielgruppen zu erreichen“, sagte Maximilian Huber in seiner Eröffnungsrede, der rund 60 Menschen lauschen. Huber macht deutlich, dass Menschenrechte nicht nur in anderen Ländern verletzt werden, sondern auch bei uns. „Auch ich wurde beschimpft, bespuckt, hier in Landsberg. Lange Zeit habe ich mich ohnmächtig und stumm gefühlt. Dann habe ich mich entschieden zu kämpfen, weil das wichtig war, auch für andere, die stumm geblieben sind.“
Julian Pietsch, zuständig für Networking und die Finanzen, bedankte sich insbesondere bei den Sponsoren, die die Ausstellung möglich gemacht haben. Dazu zählen die Aktion Mensch, die Firma Hirschvogel, die Bürgervereinigung Landsberg, der Sparkasse sowie die Familie Hinrichs. Sein Dank ging auch an Landrat Thomas Eichinger für seinen Einsatz für Mittel aus der Stiftung der Sparkasse. Pietsch an die Besucher: „Ich wünsche Ihnen Aha-Momente und interaktive Momente!“.
Die stellvertretende Landrätin Ulla Kurz blickte zurück auf die Geschichte der Menschenrechte, die vor 70 Jahren von den Vereinten Nationen festgelegt und beschlossen wurden. Sie zeigte sich erschrocken über die Diskriminierung, von der Huber berichtet hatte. „Ich hoffe, dass sich in Landsberg etwas ändert und dass die Aktionen von Projekt Randerscheinungen bewirken, dass mehr Zivilcourage gezeigt wird“, so Kurz. Und weiter: „Projekt Randerscheinungen setzt die richtigen Akzente. Ich wünsche mir, dass diese Ausstellung Randerscheinungen in die Mitte der Gesellschaft bringt.“
Verena Neumair, Integrationsbeauftragte im Landratsamt Landsberg, sprach in einer sehr persönlichen Rede über ihre Großmutter, die die Zerstörungen durch den 2. Weltkrieg noch persönlich miterlebt hat. Sie beschäftige derzeit sehr stark das Vergessen, so Neumair. „Was wird sein, wenn die sterben, die noch das Grauen erlebt haben?“ fragt sich ihre Großmutter, die sich sorge, dass rechte Gedanken heutzutage so viel Zuspruch erfahren. Die Ausstellung setze ein Zeichen, dass etwas getan werden kann. Menschen könnten sich dadurch in Prozesse einbringen. Sie forderte die Besucher auf, sich auszudrücken und zu schreiben, wie es auch Anne Frank vorgelebt hat. „An Auseinandersetzungen mit uns selbst können wir wachsen“, so Neumair, die auch daran erinnerte, dass Menschenrechte alle Menschen in Anspruch nehmen können, auch die ohne Bürgerrechte. Im Landkreis Landsberg seien dies etwa zehn Prozent der Menschen.
v.l.n.r.: Verena Neumair, Aylen Kortel, Arman Asatryan und Ali Mahmoud
Aylen Kortel von der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt a.M. war eigens zur Ausstellungseröffnung nach Landsberg gereist. Sie zeigte sich begeistert, dass die Ausstellung „Mensch, du hast Recht(e)!“ erstmals in dem erweiterten Rahmen mit Gemäldeausstellung und Performances gezeigt wurde. „Das Thema Menschenrechtsverletzung wird oft weit weggeschoben. Doch es findet sich auch in unserem nächsten Umfeld, z.B. in Bezug auf Homosexualität und durch Rassismus“, so Kortel. Die Ausstellung wolle erreichen, dass Selbstverständlichkeiten hinterfragt werden. Sie wolle aber auch irritieren, denn damit fingen Veränderungen an. „Die Bildungsstätte Anne Frank schaut aus der Perspektive der Betroffenen auf das Thema Menschenrechtsverletzung, denn ihnen wird oft nicht zugehört. Deshalb kommen sie in der Ausstellung zu Wort“, sagte Kortel. Alle Menschen sind gleich – auf dieser Grundlage könne man Diskriminierung ablehnen. Anschließend stellte Kortel alle Stationen der Ausstellung vor.
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